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Pützchens Markt

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Gestern wurde in Beuel der 647. Pützchens Markt durch den Fassanstich des Oberbürgermeisters offiziell eröffnet. Der Ursprung des Volksfestes liegt jedoch schon mehr als 1000 Jahre zurück.

Heilige Adelheid von Vilich
auf einem Pilgerblatt von 1718

Als das Grafenpaar Gerberga und Megingoz von Geldern im Jahre 976 für ihren im Bömenkrieg gefallenen Sohn in Vilich ein Stift gründeten, setzten sie ihre Tochter Adelheidis (die heutige Stadtpatronin Hl. Adelheid von Vilich) als Leiterin ein. Adelheidis zeichnete sich durch besondere Religiosität aus und wandelte das Stift in ein Kloster um, dessen erste Äbtissin sie wurde. Während der Hungerjahren im Rheinland um das Jahr 1.000 erlangte Adelheidis als Helferin der Armen hohes Ansehen. Der Überlieferung nach habe sie kniend um Regen gebetet und sich dabei auf ihren im Boden steckenden Äbtissinnen-Stab gestützt. Daraufhin sei eine Quelle hervorgesprudelt.

Überprüfen lässt sich diese Legende freilich nicht, doch gibt es in der Tat noch heute einen Brunnen mit Heilwasser. Auch die Flurbezeichnung „Pützchen“ spricht für ein hohes Alter, denn sie geht auf das lateinische Wort „Puteus“ (=Brunnen, Quelle) zurück, das in seiner rheinischen Form zu „Pütz“ (=Pfütze) wurde und im Diminutiv eben zu Pützchen.

Tatsächlich setzte wegen der wundersamen Quelle bald ein Pilgerstrom Heilung suchender Kranker ein, zu deren Betreuung zunächst eine kleine, von einem Eremiten betreute Kapelle und – wegen des immer größer werdenden Pilgerstroms – später ein Kloster mit Kirche entstanden.Ebenso etablierte sich ein jährlicher Markt, der 1367 erstmals urkundlich als „Pützchens Markt“ erwähnt wurde und immer in der zweiten Septemberwoche abgehalten wurde. Dieser Markt hatte bald den Charakter einer Warenmesse und bestand zunächst im Wesentlichen aus einem Kleidungsmarkt, dem sogenannten „Pluutemaat“, der heute jedoch nur noch rudimentär vorhanden ist, da die Fahrgeschäfte bei weitem überwiegen.


Adelheidis-Brunnen
von 1684
Der ursprünglich vorhandene Brunnen wurde 1684 durch die noch bestehende Brunnenanlage mit dem Steinkreuz ersetzt, 1864 wurde die Brunnenfassung neu gestaltet (siehe Artikel zum Adelheidisbrunnen). Da dem Brunnenwasser besondere Heilkräfte bei Augenerkrankungen zugeschrieben werden, waschen sich auch heute noch viele Besucher mit dem stark alaunhaltigen und dadurch desinfizierenden Wasser die Augen aus.

Bereits der mittelalterliche Markt zog viele Gläubige, Pilger, Händler und Kauflustige an, aber auch Gaukler, Schausteller und Schankwirte aus ganz Deutschland. Bereits damals kam auch viel „fahrendes Volk“ aus den östlichen Gebieten, darunter viele Roma, um auf Pützchen ihre Darbietungen zu zeigen. Noch bis in die 1980er Jahre bildete der traditionelle „Zigeunerball“ den Abschluss der rheinischen Großkirmes.
Bis heute ist Pützchen ein Anziehungsort für etwa 200 Roma aus ganz Europa, die sich einmal jährlich dort treffen.

Grab von Ferko Czori
Viele von ihnen wählten den nahegelegenen Friedhof am Platanenweg zu ihrer letzten Ruhestätte, wo sich im Laufe der Zeit eine eigene Friedhofskultur entwickelte. Zu den außergewöhnlichsten Grabstätten gehört die des berühmten „Zigeunerkönigs“ Ferko Czori.

Pützchens Markt entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte von einem Warenmarkt zu einem großen Volksfest, auf dem schon in der Barockzeit Kuriositäten wie die „dickste Frau der Welt“ gezeigt wurden. Ab 1776 verband sich der „Krammarkt“ mit einem großen Viehmarkt, 1840 wurden erstmals in der Marktordnung Karussels erwähnt. Bis 1830 fand der Markt immer am Tag Mariä Geburt (8. September) statt, danach wurde er auf den zweiten Septembersonntag gelegt. In den Jahren 1821 bis 1850 wurden jeweils zwischen 509 und 1101 Buden gezählt, die durchschnittliche Anzahl lag meist zwischen 700 und 900. Bis zu 112 Wirte boten Speisen und Getränke an, und schon seinerzeit strömten mehr als 50.000 Besucher dorthin; immerhin das Vierfache der damaligen Bonner Einwohnerzahl. Das zum Herzogtum Berg gehörende Beuel zählte keine 3000 Einwohner.

Pützchens Markt
Bildnachweis: Wiki user "Der Sascha"

Aber damals wie heute war jedes Volksfest auch Anziehungsort für Gauner, Diebe und Betrüger. So war Pützchens Markt bekanntermaßen ein beliebter Treffpunkt der Räuberbanden, die von dort in ganz Deutschland einfielen. Der seinerzeit bekannteste und gefürchtetste Räuberhauptmann Deutschlands, Johannes Bückler („Schinderhannes“ genannt) räumte um 1800 in Beuel ein ganzes Warenlager aus. 1802 wurde er auf Pützchens Markt aufgegriffen und nach Bonn ins Gefängnis überstellt. Die Nachricht von seiner Verhaftung verbreitete sich auf dem Markt wie ein Lauffeuer und schon in der darauffolgenden Nacht wurde der Räuber durch Komplizen befreit und konnte fliehen. Nur ein Jahr später landete er in Mainz auf dem Schafott und wurde öffentlich guillotiniert.


Der "Schinderhannes"
Der "Fetzer"


Mathias Weber, ein anderer berüchtigter Räuber und Mörder, der wegen seines wütendes Dreinschlagens und zerfetzens bei Handgemengen den Spitznamen „Fetzer“ trug, stahl in Pützchen einer Bäuerin in der Wallfahrtskirche einen großen Korb. Doch beim Verlassen der Kirche schrie plötzlich ein Baby daraus, so dass Weber den Korb erschrocken auf den Kirchenstufen stehen ließ und in der Volksmenge untertauchte. Im Jahre 1800 brach er ins Beueler Warenlager Beckers ein. Als er 1803 in Köln verhaftet wurde, gestand er 181 Einbrüche und die Ermordung seiner Ehefrau. Über Pützchen berichtete er, dass es allen Räubern besonders vertraut sei, und dass zwei Häuser mitten im Ort geheime Verstecke enthielten. Auch Mathias Weber starb 1803 auf dem Schafott durch die Guillotine. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung in Köln.

1892 musste Pützchens Markt wegen einer grassierenden Cholera-Epedemie ausfallen. Den nächsten Ausfall gab es 1939 wegen des kurz zuvor ausgebrochenen Kriegs, obwohl bereits alle Aufbauten beendet waren. Bis 1944 fand kein Jahrmarkt mehr statt, doch bereits 1945 führte man einen (wenn auch bescheidenen) Nachkriegsmarkt durch. Am 11.9.2001 fielen die Anschläge auf das World Trade Center in New York genau auf Pützchens Markt, der unmittelbar darauf abgebrochen wurde.

Hannelore Kohl mit dem damaligen OB Hans Daniels
bei einem Besuch auf Pützchens Markt

Heute hat sich Pützchens Markt mit rund 500 Fahrgeschäfte und andere Angebote auf ca. 80.000 Quadratmetern Veranstaltungsfläche zu einer modernen Kirmes entwickelt. Sie gilt als größter Jahrmarkt im ganzen Rheinland mit Besucherrekorden von rund 1,1 Millionen Besuchern. Der ursprünglich vier Tage dauernde Markt wurde erst nach der Eingemeindung Beuels 1969 auf fünf Tage erweitert. Ein 2010 versuchsweise eingeführter sechster Kirmestag wurde 2012 wieder zurückgenommen.

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